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< Bildungsansatz und pädagogische Aktivitäten

Aktivität „Erkundung historischer Ereignisse vor Ort“

Einige waren Nachbarn: Täterschaft, Mitläufertum und Widerstand

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Im Rahmen des Bildungsprogramms Einige waren Nachbarn ermöglicht die lokale Tour den TeilnehmerInnen, Orte in der eigenen Stadt zu erkunden, die mit dem Holocaust in Verbindung stehen. Die Unfassbarkeit des Holocaust kann ein Gefühl der Ungläubigkeit erzeugen, dass so etwas in einer Gesellschaft wie der unseren vor weniger als 100 Jahren geschehen konnte. Diese Ereignisse anderen näher zu bringen, in den gleichen Straßen und Orten zu sein, an denen sie stattgefunden haben, und sie auf Fotografien aus der Zeit zu sehen, kann die Ereignisse greifbarer, präsenter und für unser heutiges Leben relevanter machen. Das Nachfolgende ist ein Beispiel dafür, wie wir dies in Münster gemeinsam mit den pädagogischen MitarbeiterInnen und den delegierten Lehrerinnen der Villa ten Hompel in die Praxis umgesetzt haben. Dieser Ansatz wurde in der Folge auch von anderen Ausstellungsorten übernommen.

Kaufhaus Feibes, Münster

Die Diskussion konzentriert sich in diesem Beispiel auf die Familie Feibes, lokale jüdische Kaufleute, die vor dem Zweiten Weltkrieg ein Kaufhaus in der Salzstraße in der damaligen Altstadt von Münster besaßen. Eine Station befindet sich in einer der beiden zentralen Fußgängerzonen in der Innenstadt von Münster an der Stelle, an der früher das Kaufhaus Feibes stand (Foto 1). Heute steht dort die Filiale eines Bekleidungsgeschäftes. Die Straße ist voller Menschen, die Besorgungen machen oder eines der vielen Cafés oder Restaurants besuchen.

In dieser alltäglichen Atmosphäre diskutiert die Moderatorin mit den TeilnehmerInnen anhand eines Fotos der Salzstraße aus den 1920er Jahren die Geschichte des Ortes (Foto 2). Das „J. M. Feibes“-Banner, das über der Straße hängt und der zeitgenössische Stolperstein (Foto 3) am Boden, zu Füßen der TeilnehmerInnen regen zu Fragen rund um die Familie Feibes an: „Wer waren sie?“ „Was ist ihnen widerfahren?“

Foto 1: Derzeitige Ansicht der Salzstraße. —Quelle: Kim Keen

Foto 2: Salzstraße in den 1920er Jahren. Das Kaufhaus Feibes befindet sich auf der linken Seite. —Quelle: Stadtarchiv Münster, Fotosammlung # 6564

Nach der Betrachtung der Straße und der Umgebung gibt die ModeratorIn zusätzliche Informationen zur Familie Feibes. Fritz Feibes besaß das Geschäft gemeinsam mit seinem Vater Julius Feibes, und die Familie wohnte auch in dem Gebäude. Das 1849 in Münster gegründete Geschäft bestand bis zur „Arisierung“ im Jahr 1938 fast 90 Jahre lang.1

Als Nächstes beschreibt die ModeratorIn die Novemberpogrome (rund um den 9. November 1938) und spricht kurz über ihre Auswirkungen auf die Familie Feibes. Die Moderatorin verteilt an die TeilnehmerInnen einen Auszug aus einem Interview mit Mechthild von der Horst aus dem Jahr 2014, in dem sie ihre Erinnerungen an die Novemberpogrome als 7-jähriges Mädchen beschreibt:

„Ach so, als das – diese Kristallnacht war… Mein Bruder war auch auf der Schule, und was hat der gemacht? Da war ein Geschäft Feibes, wo sie alles kurz und klein geschlagen haben, und Sachen auf der Straße, da kam der an mit nem – mit dem Fahrrad war der zur Schule natürlich – mit nem Vogelkäfig! [...] Und das war meinen Eltern sehr unangenehm, nicht! Und er hat sich gar nichts dabei gedacht, nicht, der lag auf der Straße! Und hat den mitgenommen! Nicht? [...] Ich weiß, dass meinen Eltern das unangenehm war, denen kam das so wie klauen vor, nicht.“2

Die ModeratorIn händigt den TeilnehmerInnen eine Kopie des Zitats aus. In Gruppen von zwei oder drei Personen diskutieren sie, was den Jungen veranlasst haben könnte, den Vogelkäfig zu nehmen und warum seine Eltern es als Diebstahl ansahen. Was hat den Jungen dazu motiviert, den Käfig einfach mit zu nehmen? Was verstand er aufgrund der Atmosphäre und den Menschen um ihn herum am Tag nach den Pogromen? Was genau an der Situation war es, das ihm vermittelte, dass es in Ordnung sei, den Vogelkäfig mit zu nehmen? Warum scheint die Schwester noch heute mit der Tatsache emotional zu kämpfen, dass es Diebstahl war? Fragen darüber zu stellen, wie gewöhnliche Menschen auf die Plünderung des Geschäfts der Feibes reagierten, unterstreicht, dass sich für viele damals die gesellschaftlichen Normen nach den Pogromen geändert haben. Dieses Beispiel unterstreicht das transgressive Potenzial, das sich während des Pogroms (und danach) entfaltet hat, zeigt aber auch, dass die Möglichkeit eines persönlichen Nutzens oder Vorteils zur Akzeptanz von Ungerechtigkeit, Gewalt und Ausgrenzung beigetragen hat.

Foto 3: Stolperstein von Hedwig Feibes an der Salzstraße 3/4. —Quelle: Kim Keen

Direkt vor dem Laden befindet sich ein kleiner Pflasterstein aus Messing, der sich in das Kopfsteinpflaster einfügt. Wenn man nicht genau hinsieht, könnte man ihn leicht übersehen. Es handelt sich um einen Stolperstein (ein Pflasterstein aus Metall zur Erinnerung an einzelne Nazi-Opfer) zum Gedenken an Hedwig Feibes, die Frau von Fritz Feibes (Foto 3). Die Salzstraße 3/4 war ihr letzter frei gewählter Wohnort. 

Die ModeratorIn beendet diesen Zwischenstopp, indem sie wieder zur Familie Feibes zurückkehrt. Die Pogrome waren für sie ein Wendepunkt, ebenso wie für viele andere jüdische Menschen auch. Nach diesem Tag kam Ihr Geschäft nie wieder wirtschaftlich auf die Beine. J. M. Feibes war das letzte „arisierte“ Unternehmen im Rahmen der „Entjudung der deutschen Wirtschaft“ in Münster. Fritz Feibes floh nach England. Seine Frau Hedwig blieb bei ihrer Mutter Sartine Cohn, ihrer Schwester Erna Falk und ihrer Nichte, Reha Mathel, die nach der Reichskristallnacht geboren wurde, sowie bei anderen Jüdinnen und Juden im Haus in der Salzstraße. Hier kümmerte sie sich bis zu seinem Tod im Januar 1942 auch um ihren Schwiegervater Julius. Wenige Monate später wurden Hedwig Feibes, ihre Schwester und ihre Nichte in das Ghetto und Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Nach sechs Monaten in Theresienstadt wurde sie in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau gebracht, wo sie ermordet wurde.

1Möllenhoff, G. und R. Schlautmann-Overmeyer, Jüdische Familien in Münster. 1918–1945: Abhandlungen und Dokumente, Teil 2.1 (Münster, 1998).

2Interview in der Villa ten Hompel, mit Frau von der Horst: „Mein Bruder und der Vogelkäfig von Feibes und die Reaktion der Familie darauf.“